Mit der Ölkrise leben, Europas Energieversorgung im Würgegriff der Lieferanten
Von Horst Uhlmann
Bis zum 15. Februar müssen sich die internationalen Ölgesellschaften entscheiden, ob sie die Bedingungen der auf der Teheraner Konferenz der Organisation der erdölfördernden Länder (OPEC) gefaßten Resolution „freiwillig“ akzeptieren wollen, die ihnen beträchtlich höhere Steuern und Abgaben zugunsten der Förderländer auferlegen. Sollten sie dies nicht tun, dann werden zunächst die Länder am Persischen Golf, später aber sicher auch andere Ölländer die gleichen Konditionen per Gesetz dekretieren, dem sich die Ölfirmen zwangsweise zu unterwerfen haben. Im Effekt läuft beides auf dasselbe hinaus, denn keineÖlgesellschaft kann es sich leisten, von den bislang lieferfreudigen und zuverlässigen Ölländern am Persischen Golf mit einem Lieferembargo bedacht zu werden.
Die Beschlüsse von Teheran sind ganz wesentlich vom Schah von Persien als Sprecher der gemäßigten
Ölländer bestimmt worden, während die Libyer und auch das vor allem für Frankreich wichtige Algerie härtere Töne anschlagen wollten und wohl am liebsten gleich mit dem Zudrehen des Ölhahns gedroht hätten.
Nun ist eine derartige Drohung allerdings auch für die Ölländer ein zweischneidiges Schwert. So könnte z.
B. der Scheich von Kuwait lange auf Öleinnahmen verzichten, weil seine über alle Welt verteilten
Bankguthaben ausreichen, das kleine Land jahrelang mit Devisen zu versorgen. Auch Libyen könnte sich
das lange Zeit leisten, aber ob es dann noch seinen finanziellen Verpflichtungen gegenüber Ägypten
nachkommen kann? Der Iran hingegen muß sein Öl verkaufen, will das Land nicht seine umfangreichen
Entwicklungsarbeiten gefährden.
OPEC-Länder kein einheitlicher Block
Mit einem einheitlichen Vorgehen aller OPEC-Länder, die die Versorgung Westeuropas und Japans zu 85 % sichern, ist also nicht zu rechnen. Dennoch ist es namentlich bei jenen arabischen Staaten, in denen orthodoxe Nationalisten das Ruder in der Hand haben, nie auszuschließen, daß vorübergehend Emotionen gegenüber der wirtschaftlichen Vernunft die Oberhand gewinnen, daß also jener Grundsatz der Staatsfinanzierung verlassen wird, der besagt, man dürfe die Henne nicht schlachten, die die goldenen Eier legt. Die Ölländer sind nämlich auf ihre Abnehmer ebenso angewiesen, wie diese auf ihre Lieferungen.
Niemand in der Welt vermag ihnen nämlich auch nur einen Bruchteil ihres Öls abzukaufen, wenn sie für Westeuropa und Japan den Ölhahn zusperren.
Die Dinge werden also nicht so heiß gegessen, wie die Ölsuppe in letzter Zeit oft serviert worden ist.
Allerdings sollten wir uns keine Illusionen darüber machen, daß es immer schwieriger werden wird, die Energiebilanz angesichts des rasanten Verbrauchszuwachses in aller Welt auszugleichen. Während die Sowjetunion und die USA ihren Bedarf an Primärenergie noch in etwa im eigenen Land decken können, werden die europäischen Staaten mehr und mehr Mühe haben, Löcher in der Energiezufuhr zu vermeiden.
Alaskas Schätze nur für USA
Außerhalb der arabischen Welt sind derzeit nur in Venezuela nennenswerte Mengen aufzutreiben. Dieses Land hat übrigens als erstes die Methode der Festlegung der Ölpreise per Gesetz praktiziert. Venezuela kann liefern, aber sein Öl ist teuer. Die enormen Vorräte unter dem ewigen Eis vor der Nordküste Alaskas sind noch nicht erschlossen. Inzwischen hat die amerikanische Regierung die Genehmigung erteilt, quer durch Alaska eine Ölleitung zu verlegen. Europa kann aber von diesen Schätzen unter dem Nordmeer insofern nur indirekt profitieren, als diese Mengen in den USA an die Stelle der Importe aus den arabischen Ländern treten werden, mit denen der dortige Verbrauchzuwachs aufgefangen werden muß. Europas Ölvorräte liegen offensichtlich unter der Nordsee zwischen Norwegen und Großbritannien. Man weiß zwar, daß dort große Ölfelder liegen, die Schwierigkeit ist indessen, diese Schätze zu bergen. Es wird lange dauern, bis man auf das Nordsee-Öl in nennenswertem Umfang zurückgreifen kann.
Um flexibler zu sein, müssen zunächst die Vorräte an Öl (derzeit etwa 75 Tage) vergrößert werden. Hierfür sind die wie Fischschwärme entlang der deutschen Nordseeküste verteilten unzähligen Salzlagerstätten ideal geeignet. Hier können in der Nähe von Pipelines und Ölhäfen gewaltige Mengen an Öl eingelagert werden, sobald in diesen Salzstöcken Hohlräume ausgespült sind. Freilich muß das alles finanziert werden, vermutlich vom Bund, denn eine Vorratshaltung derartigen Umfanges ist keine privatwirtschaftliche Aufgabe. Ferner könnte man versuchen, mit einigen Förderländern direkt, d. h. ohne Vermittlung der internationalen Ölgesellschaften, ins Geschäft zu kommen. Warum nicht eine paritätische deutsch-libysche Petroleumgesellschaft gründen, die von der Quelle bis zur Tankstelle Gewinne und Verluste trägt. Natürlich ändert sich dadurch nichts an der Tatsache, daß der Förderstaat jederzeit mit Brachialgewalt die Ölförderung stoppen könnte.
Chancen für Atom und Erdgas
Unwahrscheinlich ist hingegen eine Renaissance der deutschen Kohle. Ihre Förderung wird sich nur mit Mühe auf der gegenwärtigen Höhe halten lassen. Durch Aufkauf von rentablen Kohlenbergwerken in Übersee – in einem Fall bereits geschehen – läßt sich hingegen die Palette des Energieangebots erweitern.
Schneller als ursprünglich vorgesehen wird sich nun wohl die Atomenergie in den Vordergrund schieben.
Hier wurden nämlich manche Pläne verschoben, als das Heizöl konkurrenzlos billig und in beliebigen
Mengen zu haben war. Damit ist es zumindest was den Preis anbetrifft vorbei. Atomstrom statt Ölkraftwerke heißt nun die energiepolitische Devise.
Auch das Erdgas bietet Ausweichmöglichkeiten. Hier hat Europa das Glück, unter dem holländischen
Küstengebiet und unter großen Teilen der Nordsee über erhebliche Vorräte zu verfügen. Ihrer schnellen Nutzbarmachung sind indessen insofern Grenzen gesetzt, als der Aufbau eines großen Verbundnetzes nicht so rasch vorangetrieben werden kann, wie man es sich angesichts der ungemütlichen Situation auf dem Gebiet der Ölversorgung wünschen möchte. Der gleiche Einwand gilt auch für die Importe aus der Sowjetunion, die von 1972 an beginnen sollen.
Mit der Ölkrise leben » in Süddeutsche Zeitung 6. Februar 1971